KI: Mehr Hype statt Hilfe?

‚Künstliche Intelligenz‘ wird immer dann als Lösung angepriesen, wenn Probleme hochkomplex sind. Befeuert durch die beeindruckenden Möglichkeiten von Large Language Models (LLM) wie ChatGPT, Copilot oder Gemini begegnen einem je nach Problemstellung eine Mischung aus absurder Ablehnung und unrealistischer Erwartungshaltung. Zweifelsfrei gibt es interessante Ansätze, die strategischen Einkaufssteuerung mit KI zu unterstützen, aber ein Selbstläufer ist der Einsatz nicht.

Vieles, was derzeit als KI ausgegeben wird, ist herkömmliche, regelbasierte Programmierung, wobei Dateninput über Softwareregeln zu Ergebnissen werden. Soweit nichts Neues. Künstliche Intelligenz setzt dort an, wo bisher keine Regeln bekannt sind. Es liegen viele Daten vor, aber wie hängen Dateninput und Ergebnis zusammen, gibt es Datenmuster und Beziehung? Die Idee hinter KI-Models ist, bekannte Ergebnisse so lange aus einem Dateninput zu simulieren, bis ein trainiertes Model Vorhersagen machen kann. Ein LLM zum Beispiel errechnet sich seine Antworten aus gefütterten Massendaten und was so kenntnisreich präsentiert wird, ist lediglich an Schlagworte gekoppelte Wahrscheinlichkeit. Soweit themenbezogene, bereinigte Massendaten vorliegen, die ein Model trainierbar machen, bietet der Einsatz von künstlicher Intelligenz für Einkaufscontrolling und Einkaufssteuerung Anregungen, Erkenntnisse und Lösungsvorschläge.

Warengruppen- und Branchenstruktur

Ideal für den Einsatz eines KI-Models ist die maschinelle Überprüfung und Verbesserung der Warengruppenzuordnung, da dies manuell eher unbeliebt ist. Voraussetzung für eine maschinelle Unterstützung ist ein Lernmodel mit möglichst perfekter Warengruppenzuordnung, verbunden mit geeigneten Attributen im Materialstamm. Da Warengruppen immer nur dort funktionieren, wo es auch Bestellungen gibt, hat sich die möglichst automatische Branchenzuordnung zu Kreditoren als zusätzliche Kategorisierung bewährt. In beiden erwähnten Fällen gilt: Je sauberer und somit aussagefähiger das Lernmodel ist, desto erfolgversprechender ist der Einsatz des KI-Models für künftige automatische Empfehlungen. Untersuchungen in unseren WebCIS-Modulen haben gezeigt, dass automatische Zuordnungen und Korrekturempfehlungen mit einem Qualitätsscore von über 75 % möglich sind. Der mittels KI erzeugte Qualitätszuwachs bei Kategorisierungen ermöglicht homogenere Cluster, die aussagefähige Preisbenchmarks innerhalb der Warengruppen sowie zu externen Preisindizes zulassen. Die klassische Einkaufsleiterfrage ‚In welchen Warengruppen und bei welchen Lieferanten besteht Nachverhandlungspotential‘ wird so maschinell prüfbar. Wie kann man technisch ähnliche Teile aufspüren, um Vereinheitlichungen zu prüfen, sowie unbegründete Preisunterschiede aufzuzeigen. KI-basierte Similarityscores, die aus technischen Merkmalen des Materialstamms gewonnen werden, liefern in jedem Fall hilfreiche Datenmuster für neue Handlungsideen. Mengenabhängige Preise, sogenannte Staffelpreise, sind in vielen Einkaufsbereichen üblich. Doch immer wieder stellt sich die Frage nach dem sinnvollen unternehmerischen Einsatz beim Disponieren. Welche Mengensteigerungen wirken wie stark in den Rechnungspreisen. Erwartete Korrelationseffekte zwischen Mengensteigerung und Preissenkung sind meist nicht so eindeutig, wie oft vermutet. KI-basierte Datenmuster verstärken die Vermutung, dass es faktenbasierte Verhandlungsspielräume gibt, die nicht unerhebliche Einsparungen ermöglichen.

Objektivierung von Preisforderungen der Lieferanten

So alt wie der Einkauf selbst ist die Frage, inwieweit Preise und Preisveränderungsforderungen von Lieferanten marktgerecht sind. Der Cost-Break-Down gilt als gängige analytische, aber zeitraubende Vorgehensweise. KI-Modelle hingegen ermöglichen Massenanalysen. Preisbestandteile sind Features eines Produktes, die mit unterschiedlicher Gewichtung einen Gesamtpreis ausmachen. Doch mit welchem Anteil wirken diese Features? KI-Models simulieren die auf den Preis einwirkenden Merkmale bis mathematische Muster erkennbar sind. Diese Multi-Regressionen, die eher auf statistischen Zusammenhängen als auf technischen Wirkungsweisen aufbauen, haben den Vorteil, dass sie automatisch und schnell Erkenntnisse liefern, aber – wie bei allen KI-Themen – von einem guten Lernmodel abhängen.

Globale Risikobetrachtung

Was bei Banken und Versicherungen längst üblich ist – nämlich Kreditwürdigkeit und Risikoeinschätzung von Darlehensnehmern KI-basiert einzuordnen, ist auch im Einkauf als zusätzliche Vorgehensweise möglich. Ein Einkauf verfügt über ausreichende Features – Liefertreue, Reklamationen, externe Scores, Auditergebnisse, Länderscores, Warengruppenbenchmarks, Preisindices, Sourcinginformationen und so weiter – um ein Lernmodel zu versorgen, das Warnhinweise zur Lieferkette aufzeigt. Ergänzend zu einer analytischen Risikobewertung mit gewichteten Einflussgrößen, werden drohende Überraschungen in der Lieferkette schnell sichtbar. Ein so mächtiger Informationscube wie WebCIS AI bietet Analyse-, Informations- und Berichtsfeatures in strukturierten Dashboards, passgenauen Favoriten und on-the-fly-Reports für so ziemlich jedes Einkaufsthema. Die Königsfrage ist, welches Feature passt zu meiner Fragestellung. Die Integration eines LLMs in die WebCIS-Oberfläche wird zum Prompting den passenden Vorschlag liefern. Die erweiterte Prompting-Analyse reicht auch Filter an die jeweiligen Features weiter. Vorteil für den User: höhere Informationsbreite und -tiefe bei gleichzeitiger Vereinfachung der Bedienung, da Fließtexte intelligent aufbereitet werden.

Werner Güntner, Geschäftsführer Softcon CIS